Spaziergang

Wer in Verkehrsnetze investiert, stärkt auch die Gesellschaft

Ralf Faust, Leiter Service der Krone Nutzfahrzeug Gruppe und Mitglied der Geschäftsleitung, traf in Hamburg Christian Kille, Professor für Handelslogistik an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt sowie Initiator und Mitglied der Logistikweisen, zu einem Gespräch über Kapazitäten, Infrastruktur und intelligente Trailer.

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Herr Professor Kille, die Logistikwirtschaft wächst erfreulicherweise sehr stark – welche Einflussgrößen sind aus Ihrer Sicht die bestimmenden Faktoren für die Zukunft?
Kille:
Ich halte beispielsweise Kapazitäten für ein wichtiges Thema – gerade für Ihren Bereich, Herr Faust, den Service. Denn den Spediteur und das verladende Unternehmen macht es glücklich, wenn sie die Kapazitäten bekommen, die sie brauchen.

Faust: Ja, wir befinden uns in einem bewegten Markt. Das Verhalten des Konsumenten hat sich komplett verändert: Er möchte das ganze Jahr über Spargel und Erdbeeren kaufen können. Dazu kommt das Internet der Dinge, und alles soll natürlich mobil gesteuert werden. Im Nutzfahrzeugbereich waren wir lange vor allem auf Autobahnen und Landstraßen unterwegs, jetzt spielt der Verkehr in der Innenstadt eine viel größere Rolle – wo man vielleicht kleinere Fahrzeuge benötigt.
  
Christian Kille und Ralf Faust (v. li.) trafen sich im historischen Hörsaal des Hamburger Museums für Völkerkunde.
Christian Kille und Ralf Faust (v. li.) trafen sich im historischen Hörsaal des Hamburger Museums für Völkerkunde.

Kille: Genau, es braucht geringere Kapazitäten an Raum und Personal. Oder anderes Personal. Zum Thema Verlader und Empfänger habe ich vor Kurzem eine interessante Diskussion zum B2B-Bereich geführt: Wie wäre es, wenn man aus dem Prinzip „Heute bestellt, morgen da“ die Spannung rausnehmen und sagen würde, man konzentriert sich weniger auf immer schnellere Prozesse, sondern auf die Zuverlässigkeit – langsamer, aber auch strukturierter? Manchmal braucht man alle Waren ja auch gar nicht so schnell.

Faust: Das ist ein guter Ansatz und könnte mehr Spielraum für die Planung geben. Spannend ist auch: Wann fange ich an, diese Kapazitäten zu planen? Wenn der Lebensmittelmarkt einen Karton Zucker bestellt, melde ich das dann in der Zuckerfabrik an oder schon bei dem Bauern, der die Zuckerrüben anpflanzt? Das sind Fragen, die die Logistik derzeit weltweit bewegen.

Wie viel Service benötigen Ihre Kunden heute, Herr Faust?
Faust:
Krone legt den Schwerpunkt auf die Entwicklung und die Herstellung technischer Produkte. Aber Dienstleistungen spielen eine immer größere Rolle. Der generelle Servicebedarf ist unter unseren Kunden in den vergangenen Jahren um 67 Prozent gestiegen. Sie kaufen nicht nur einen Sattelauflieger in einer bestimmten Ausstattung, sondern sie wollen beispielsweise Telematik nutzen und über Schnittstellen kommunizieren. Ich bin mir sicher, dass wir in Kürze erleben werden, dass jedes Fahrzeug selbst übermittelt, welche freien Kapazitäten es noch hat.


»Mit jedem Aufbau einer Infrastruktur gibt es Gegenströme.«


Professor Christian Kille,
Hochschule Würzburg-Schweinfurt




Kille: Das ist natürlich das Nonplusultra, wenn der Trailer das selbst tut. Wer könnte da der potenzielle Kunde sein?

Faust: Alle, die aus dem Sammelstückgutbereich kommen. Aber auch im Direktverkehr gibt es immer mal noch Platz für eine Palette. Dazu passt, dass wir uns in der Entwicklung damit beschäftigen, über Sensorik die Stellplätze im Sattelauflieger zu erfassen. Der Trailer kann damit an eine Frachtenbörse kommunizieren, dass er Stellplätze frei hat. Doch kann unser Kunde das mit seinen derzeitigen digitalen Prozessstrukturen auch verarbeiten? Und welche Daten müssen wir als Nutzfahrzeughersteller hier liefern? Die digitale Struktur und unser Wissen darüber haben sich weltweit komplett verändert. Genauso verändern sich die Berufe der Menschen, die in der Logistik arbeiten. Sehen Sie das auch so?

Kille: Ja, die Berufe verändern sich und auch die Unternehmenskultur. Sie haben das bei Krone offenbar gemeistert und alle Mitarbeiter auf diese Reise mitgenommen. Doch ich kenne viele Unternehmen, bei denen es vertrieblich schwierig ist: Dort wird immer noch das Produkt verkauft und nicht die Dienstleistung dahinter.

Als Professor für Handelslogistik kennt Christian Kille (links) die Anforderungen des Marktes.
Als Professor für Handelslogistik kennt Christian Kille (links) die Anforderungen des Marktes.

Faust: Für uns ist das natürlich auch weiterhin eine wichtige Aufgabe, unsere Mitarbeiter zu einem Berater für den Kunden zu qualifizieren. Dazu gründen wir beispielsweise eine eigene Krone Academy.

Welche Einflussgrößen von außen sind aus Ihrer Sicht für die nächste Zeit bestimmend?
Faust:
Sattelauflieger werden in Europa im Jahr 2030 rund 38 Prozent mehr Tonnenkilometer als heute fahren. Die Logistik ist immer auch ein Indikator für den Wohlstand einer Gesellschaft. Je weiter wir gen Osten gehen, desto weniger gut ausgebaute Autobahnen gibt es. Wer jedoch in Verkehrsnetze investiert, stärkt auch die Gesellschaft.

Kille: Das Stichwort Infrastruktur ist sehr wichtig, besonders bei uns in Deutschland und bezüglich der Frage: Was macht der Bürger damit? Mit jedem Aufbau einer Infrastruktur gibt es Gegenströme. Wir sind eine extrem wohlständige Gesellschaft, und sobald sich irgendwas ändert, haben wir Angst, dass es schlechter wird. Wir können aber als Gesellschaft nur dann wachsen und den Wohlstand erhalten, wenn der Wirtschaft generell und der Logistik speziell die nötige Infrastruktur geboten wird. Ich kann nicht sagen „Die Lkws sollen auf die Schiene“, und auf der anderen Seite bin ich gegen Schienenbau. Und ich kann nicht online bestellen, aber es soll kein Lieferfahrzeug bei mir durch die Straße fahren. Hinsichtlich der Einbindung der jeweiligen Interessengruppen haben wir von der Logistikseite aus ganz großen Nachholbedarf.

ZUR PERSON

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Professor Christian Kille, Jahrgang 1972, hat Elektrotechnik studiert und über Logistikmärkte und deren Quantifizierung promoviert. Seit 2011 ist er Professor für Handelslogistik und Operations Management an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Seine Forschungen konzentrieren sich auf Prognosen und Trenduntersuchungen mit Schwerpunkt auf die gesamte Wirtschaftsbranche Logistik und ihre Segmente, Handelslogistik, Logistikimmobilien und Standorte sowie neue Geschäftsmodelle und Start-ups. Er ist Marktexperte der Bundesvereinigung Logistik und Mitglied in der Jury der „Logistik Hall of Fame“.


Herr Faust, welche Prozesse stoßen die Anforderungen Ihrer Kunden bei Krone intern an?
Faust:
Wir haben beispielsweise die ersten Kundenanfragen zu Pay-by-use-Systemen. So etwas erfordert eine völlig neue Organisation und Prozesssteuerung bei uns im Hause – nicht mehr durch die Produktion oder Taktung getrieben, sondern durch die Frage, wie wir uns noch besser mit den Kunden vernetzen. Während der Markt früher dachte, die Intelligenz läge ausschließlich in der Zugmaschine, ist heute klar, dass es der Auflieger ist, der über die Datenquantität und Datenstruktur verfügt, die der Logistiker, der Verlader und die weiterverarbeitende Industrie brauchen. Der intelligente Trailer kann den technischen Zustand eines Fahrzeugs sehr schnell analysieren, und viele Pannen lassen sich vermeiden, indem Reparaturen und Wartungen vorausschauend geplant werden. Die Hersteller und Verlader wollen immer mehr über den Transport und die logistischen Prozesse Bescheid wissen – möglichst in Echtzeit. Es gewinnt der Anbieter, der das Thema der voraussichtlichen Ankunftszeit beherrscht.

Kille: Hier stellt sich die Frage der Schnittstellen: In der gesamten Kette vom Landwirt bis zum Endkunden gibt es heute noch inkompatible IT und physische Schnittstellen, durch die das Internet der Dinge bis jetzt nicht zu realisieren ist. Dass Sie immer den Kunden im Blick behalten, halte ich für sehr wichtig. Den Supply-Chain-Management-Gedanken muss man ja immer vom Endkunden her denken. Bauen Sie Ihre IT-Lösungen dann auch so auf, dass sie auf andere Bereiche übertragbar wären, etwa auf Lieferwagen oder private Pkws?

Faust: Im B2C-Bereich ist das ganz schwer, aber im Bereich B2B funktioniert es auf jeden Fall – ja. Die Informationen, die ich heute im Trailer habe, sind ähnlich wie in KEP-Fahrzeugen. Wir gehen ja zum Beispiel mit Rytle heute schon weiter in die City hinein und statten Lastenräder mit dieser Technologie aus. Da stehen wir dann aber vor ganz neuen Herausforderungen beim Service: Wenn der Reifen mal platt ist, wo finden Sie dann die nächste Fahrradwerkstatt für ein professionelles Lastenrad? Wir denken zum Beispiel darüber nach, einige der Lastenräder selbst als Servicefahrzeuge auszustatten, die dann mobil abrufbar sind und Probleme lösen. Wir entwickeln uns stets weiter – und viele Impulse kommen aus dem täglichen Geschäft auf der Straße.

Bei einem Spaziergang an der Alster in Hamburg diskutierten Ralf Faust und Christian Kille über Einflussgrößen auf die Logistik.
Bei einem Spaziergang an der Alster in Hamburg diskutierten Ralf Faust und Christian Kille über Einflussgrößen auf die Logistik.

Fotos: Willing-Holtz

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