Titelstory

Achtung, Störung!

Die Coronapandemie sorgt weltweit für massive Störungen in den Lieferketten. Der Mangel an Rohstoff en treibt die Preise in die Höhe. Wer etwas ordern kann, muss damit rechnen, dass es länger dauert. Wie hält man unter solchen Bedingungen die Produktion trotzdem am Laufen?

D
ie Pandemie ist einmalig, ein Ereignis von solchem Ausmaß konnte niemand vorhersehen“, sagt Dr. Steffen Wagner, Head of Transport & Leisure der KPMG AG. Selbst wenn man versucht hätte, sich darauf vorzubereiten: Da wirklich alle Sektoren betroffen waren, hätte es keine einfache Lösung gegeben. Rohstoffknappheit, begrenzte Lieferkapazitäten, verschärfter Fachkräftemangel, erhöhter Aufwand durch Hygieneauflagen und umfassende Grenzkontrollen – Unternehmer hatten seit Anfang 2020 jede Menge Herausforderungen zu bewältigen. Laut Steffen Wagner hat Covid-19 die ohnehin gegebene große Abhängigkeit der Lieferketten von Faktoren wie Rohstoffmangel verstärkt: „Wir haben gesehen, wie auch kleine Veränderungen in der Transportkette zu ihrem Kollaps führen können – gerade in der Automobilindustrie, wo heute eine eng getaktete Lieferkette mit Just-in-time-Zustellung bis an das Fließband üblich ist.“
            

DR. STEFFEN WAGNER

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Leiter Transport und
Logistik, KPMG

Dr. Steffen Wagner ist seit 1997 Analyst bei KPMG und wurde 2004 Partner Bereich Corporate Finance/M&A. Er hat einen Lehrauftrag am Lehrstuhl für Accounting & Capital Markets an der Universität Mannheim.
             

Man spricht auch vom Peitscheneffekt, der beschreibt, dass schon geringe Schwankungen bei der Nachfrage zu deutlich größeren Bewegungen auch weit hinten in der Lieferkette führen können, also wie die kleine Handbewegung, mit der man eine Peitsche zum Schwingen bringen kann: „Als im ersten Lockdown plötzlich so viel Toilettenpapier nachgefragt wurde, verursachte das an anderen Stellen in der Lieferkette große Probleme.“
            

AUTOMOBILHERSTELLER SASSEN AUF DEM TROCKENEN

Dabei war immer genug Toilettenpapier da – es musste nur schneller in der gefragten Menge in die Läden gebracht werden. Rohstoffe wie Holz oder Stahl dagegen wurden ernsthaft knapp, weil sie stärker nachgefragt wurden: Beim Holz befeuerte beispielsweise der private Bauboom in den USA den Abverkauf, während Nordamerika – die dort traditionelle Quelle für Holz – nicht mehr liefern konnte, weil viele Waldbrände den Bestand stark geschmälert hatten. Auch die steigende Nachfrage aus China trieb die Holzpreise nach oben. So wurde Holz vermehrt aus Europa gekauft, was hierzulande auch jeder private Häuslebauer zu spüren bekam. Denn die Preise im Binnenmarkt folgten den höheren Exportpreisen, und es erfolgte ein Ausverkauf des europäischen Binnenmarktes.

Darüber hinaus werden Rohstoffe knapp, wenn sie plötzlich stark in andere Branchen „abwandern“: „Als Mitte 2020 Halbleiterchips, die vor allem in Asien produziert werden, von der Automobilindustrie deutlich weniger nachgefragt wurden, flossen sie stattdessen in die Unterhaltungselektronik, die in der Pandemie boomte“, so Steffen Wagner. „Die Automobilproduktion fuhr im zweiten Halbjahr wieder hoch – saß aber in puncto Chips erst mal auf dem Trockenen, weil nun das Angebot für sie knapp war.“ Es kann also Veränderungen auf der Angebots- wie auch der Nachfrageseite geben – und die Auswirkungen können mächtig sein.
      

GEORG SASSE

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Leiter strategischer
Einkauf Krone Holding

Georg Sasse hat bereits 1984 seine Ausbildung bei Krone absolviert. Nach seiner Weiterbildung zum technischen Betriebswirt ging es in den Einkauf – erst in Werlte, dann in Spelle und seit 2020 in der Holding.
      

Als Einkaufsleiter der Krone Holding stehen Georg Sasse und sein Team kontinuierlich vor der Herausforderung, zu wettbewerbsfähigen Preisen zu ordern und das Material in der nötigen Qualität zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bekommen. In der Coronapandemie ist das alles andere als einfach. „Derzeit gibt es bei den Materialien, die wir verarbeiten, keine Warengruppe, in der die Versorgung entspannt ist“, erklärt er. In seinen 20 Jahren als Leiter des Einkaufs im Unternehmen habe er eine Situation wie die aktuelle noch nicht erlebt: „Aber ich sehe das trotzdem positiv und bleibe optimistisch. Krone hat eine starke Basis und langjährige Lieferantenbeziehungen, auf die wir bauen können. Jeder Unternehmer bleibt nur am Markt, wenn er wettbewerbsfähige Preise anbietet. Wir haben als Trailerhersteller im vergangenen Jahr bewiesen, dass wir uns zusammen mit unseren Lieferanten dieser Herausforderung stellen können.“
              

VERTRAUENSVOLLE BEZIEHUNGEN ZU LIEFERANTEN

Die Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen – vor dieser Aufgabe stehen alle Akteure in der Transportbranche. „Unsere wichtigste Aufgabe ist es, dies für die Zukunft zu sichern.“ Um mit der Lieferantenstruktur auf unterschiedliche Marktsituationen flexibel und schnell reagieren zu können, ist eine kontinuierliche und transparente Zusammenarbeit gefordert. Krone bleibt hier immer mit seinen Partnern im Gespräch und pflegt eine offene Kommunikation.
             
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Facts & Figures

76 %
der Störungen in den Lieferketten sind auf Mangel an Containern zurückzuführen. (DIHK)
Nur 50 %
der Containerschiffe waren im November 2020 pünktlich. Durchschnittlich kamen Schiffe zu dem Zeitpunkt 5,1 Tage zu spät an. (Sea Intelligence)
64 %
der Unternehmen suchen aufgrund von Rohstoffmangel und Lieferengpässen nach neuen oder zusätzlichen Lieferanten. (DIHK)
Rund 5 Millionen Fahrzeuge
weniger werden aufgrund des Mangels an Halbleitern in der Autoindustrie im Jahr 2021 produziert. (Automotive Research)
25 Milliarden Euro
kosten die Engpässe und Verzögerungen in den globalen Lieferketten die deutsche Volkswirtschaft. (Schätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft 2021)

In der Pandemie kam es neben den Verschiebungen zwischen Angebot und Nachfrage zusätzlich zu Einbrüchen bei den Transportkapazitäten – auch hier aus sehr unterschiedlichen Gründen: In der Luftfracht fehlten die Passagierflugzeuge, die zuvor rund 50 Prozent der internationalen Kapazität stellten. Dieser rapiden, substanziellen und so plötzlich auftretenden Verknappung konnten die Transporteure kaum begegnen. Es verschoben sich Volumina von der Luftfracht hin zur Seefracht – doch da funktionierte in den Häfen bald der Umschlag angesichts von Hygieneauflagen, fehlenden Containern und einer Mitarbeiterknappheit nicht mehr. „Die Schiffe lagen in den Häfen vor Anker, die Besatzungen saßen dort fest“, beschreibt es Steffen Wagner. Der Stau im Sueskanal im März 2021 bildete einen weiteren Einflussfaktor; und der internationale Landtransport wurde unter anderem durch Einreisestopps ausgebremst.
                 

ZWEI EFFEKTE GLEICHZEITIG

„Dass Lieferketten massiv gestört werden, ist ja auch in der Vergangenheit schon häufiger passiert, etwa in der Ölkrise in den 70er-Jahren oder 2010 durch den Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull. In der Covidpandemie war die Situation aber nicht lokal begrenzt, sondern betraf die gesamte Welt. Sie trat sehr verdichtet auf, und alles passierte in kurzer Zeit.“ Die Verflechtung und die Fragilität der Lieferketten habe durch die internationalen Abhängigkeiten in der Weltwirtschaft zwar bereits zuvor bestanden, so Logistikexperte Wagner: „Die EU importiert beispielsweise nahezu alle seltenen Erden, die sie in der Produktion benötigt, aus China. Doch Corona hatte nun zwei parallele Effekte ausgelöst: zum einen Verschiebungen in den Nachfragestrukturen und zum anderen den Wegfall von Transportkapazitäten.“
            
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„Die aktuellen Preisentwicklungen und Materialverfügbarkeiten im Markt sind sehr herausfordernd. Krone ist aber weiterhin für alle Kunden ein verlässlicher Partner. Wir arbeiten täglich mit Hochdruck daran, unsere Zusagen zu halten. Das ist uns bislang, auch im Vergleich zum Wettbewerb, immer sehr gut gelungen.“
 
Bernhard Brüggen, CEO

Vorhersehen konnte man eine solch gewaltige Krise in diesem Ausmaß natürlich nicht. Aber was kann man aus ihr lernen? Steffen Wagner erwartet, dass die Unternehmen viel Zeit und Energie darauf verwenden werden, ihre Lieferketten noch transparenter und somit auch vorhersagbarer zu organisieren: „Der Aspekt der Transparenz in der Lieferkette wird stark an Bedeutung gewinnen.“ Damit geht ein neues Risikomanagement zur Berechnung von Kosten einher, das auch in den Bereich der Transport- und Lieferkettenkosten hineinwirkt: „In der Pandemie hat man gesehen, dass es im Zweifel doch günstiger sein kann, größere Vorräte vorzuhalten.“ Für die Planung solcher Vorsorgemaßnahmen werden wiederum relevante Daten benötigt. „Die Bedeutung der Verkettung von Lieferketten, Datenaustausch und Plattformökonomie wird somit weiter steigen“, so Wagner.
              

FOKUS AUF RISIKOMANAGEMENT UND FLEXIBILITÄT

Die Beratungsgesellschaft KPMG befragt jährlich einmal die Verantwortlichen in deutschen Unternehmen über alle Sektoren hinweg, welche Themen sie für die kommenden zwölf Monate priorisieren: „Die Transportwirtschaft hatte bisher immer ihr Hauptaugenmerk auf die Digitalisierung und den Fachkräftemangel gelegt, bis auf einmal 2020 die Faktoren Risikomanagement und Flexibilität am häufigsten genannt wurden.“ Dennoch bleibe laut Steffen Wagner die Digitalisierung ein sehr wichtiges Stichwort: „Unternehmen werden heutzutage durch Datenanalysen gelenkt. Doch viele Firmen verfügen dafür noch nicht über die nötigen technischen Grundlagen. Für sie bedeutet Digitalisierung daher vor allem zu modernisieren, also ihre Systeme an den neuesten Stand der Entwicklung anzupassen. Vorgesorgt wird bereits: In Deutschland wurden neue Produktionsstätten für Chips begründet. „Solche Maßnahmen zur Absicherung der Produktion wird es hierzulande zunehmend geben. Aber die globalen Abhängigkeiten werden weiterbestehen. Mit diesem Risiko müssen die Unternehmen nun mal rechnen – und leben.“
                        
Illustrationen: iStock/Victor_85, iStock/Iuliia Kanivets Fotos: KPMG, Krone

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