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ie Schlagzeilen 2019 wurden bestimmt vom Klimawandel: Schüler und Studenten gingen auf die Straße, um auf drängende Umweltfragen aufmerksam zu machen. 2020 folgte eine globale Krise, das Coronavirus hat das Leben fast aller Menschen weltweit verändert: Wir alle müssen Abstand voneinander halten. Digitale Kommunikationstools boomen wie nie zuvor. Die Pandemie gibt der Digitalisierung einen kräftigen Schub nach vorn. Doch die Zukunft braucht nicht nur Digitalisierung – auch eine ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit ist wichtiger denn je. Wie kann man beides verbinden, und was können Unternehmer aus der Transport- und Logistikbranche dazu beitragen?
KLARE UNTERNEHMENSVISION ENTWICKELN
Für alle gilt: Bis 2050 muss Klimaneutralität erreicht werden. „Provokant gesprochen: Wenn man dann nicht mehr existieren will, sollte man einfach so weitermachen wie bisher“, sagt Julia Miosga. „Um weiter zu existieren und eine erfolgreiche Zukunft anzusteuern, sollten sich die Unternehmen weniger von den Entwicklungen nur mitreißen lassen, als vielmehr selbst eine klare Vision entwickeln, wo ihr Weg hinführen soll.“ Als „DigitalLandschaftsGärtnerin“ berät Julia Miosga Unternehmen, wie diese die Digitalisierung für sich optimal nutzen können. Sie hält die Digitalisierung für ein Werkzeug, mit dem ein Unternehmen seine Vision erreichen kann. „Ziele kann man verfehlen, aber eine Vision spannt einen größeren Bogen“, erklärt sie. „Man sollte so ein Bild der Zukunft für sich deshalb sehr klar umreißen und durchaus groß denken.“
„Wenn die Digitalisierung ein Restaurantbesuch wäre, dann wären wir gerade mal beim Gruß aus der Küche.“
Ralf Kleber, Amazon-Chef Deutschland
Nachhaltigkeit sollte ein fester Bestandteil dieses Bildes sein. „Alle Strategien, die auf eine Vision abzielen, sollten die Werte des eigenen Hauses pflegen“, so Miosga. „Das kann zum Beispiel bedeuten, dass ein Unternehmen faire, gerechte und sichere Arbeitsbedingungen bietet und dass man nachhaltig, sinnstiftend und gewinnbringend agiert.“ Die Expertin empfiehlt, das eigene Geschäft vom Endkunden her zu denken und dessen Bedürfnisse zu erkennen. „Dann kann ich mich als Spediteur fragen, was meine Kunden brauchen, um den Bedürfnissen von deren Kunden gerecht zu werden – und wie ich meine Kunden darin unterstützen kann.“ Sie verweist auf die Lebensmittelindustrie, wo vor einigen Jahren noch kaum jemand glaubte, dass die Verbraucher deutlich mehr Wert auf die Inhaltsstoffe und die Herstellung legen würden – was sie heute tun: „Hier kann sich ein Transportdienstleister beispielsweise Vorteile verschaffen, wenn er zeigt, dass er seine Routen effizient plant, moderne Fahrzeuge fährt und vielleicht noch alternative Antriebskonzepte testet. So wird man Teil einer nachhaltigen Supply-Chain, die der Endkunde anderen gegenüber bevorzugt.“
KERNTECHNOLOGIE TELEMATIK
Die Kerntechnologie dafür ist die Telematik. „Sie ist der Schlüssel zur Digitalisierung der Fahrzeuge“, erklärt Frank Albers, Geschäftsführer für Vertrieb und Marketing im Fahrzeugwerk Krone. Die Telematik ermöglicht zum einen, fahrzeugspezifische Daten zu erheben, zum Beispiel zur Kontrolle des Reifendrucks und zum Verschleiß der Bremsen, sowie die Überwachung der Temperatur und der Türverriegelung bei Kühlsattelaufliegern. Weiterhin erhöht Telematik die Wirtschaftlichkeit eines Transports, indem sie für eine stärkere Auslastung der Kapazitäten sorgt: Kamerasysteme wie beim Krone Smart Capacity Management können beispielsweise den Laderaum überwachen, freie Stellplätze melden und damit die Auslastung erhöhen. Die dabei eingesetzten Sensoren erfassen auch das Gewicht der Ladung und zeigen freie Nutzlast an.
„Die Digitalisierung bietet die besten Chancen, wenn sie herkömmliche Strukturen ersetzt. Es ist schon jetzt absehbar, dass das ‚New Normal‘ nach der Krise wesentlich digitaler wird. Aber wie dieser Wandel gestaltet wird, ist entscheidend. Als Unternehmen muss man vor allem die Herstellungsphase von Produkten ökologischer gestalten, wobei digitale Lösungen helfen können. Denn bisher war die Digitalisierung in Produktionsprozessen von Unternehmen ein Nullsummenspiel. Ein Beispiel: Ein iPhone 8 braucht genauso viel Energie und verursacht so viel CO2 wie ein iPhone 3.“
Prof. Dr. Tilman Santarius, TU Berlin, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung
Sicherheit ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt – auch sie erhöht die Zuverlässigkeit und Effizienz eines Transports. „Die regelmäßige Prüfung des Zustands eines Fahrzeugs minimiert die Risiken und beugt Ausfällen vor“, so Albers. Wenn beispielsweise der Luftdruck nicht stimmt, kann der Reifen im Ernstfall überhitzen und sogar platzen. Ganz abgesehen vom Unfallrisiko, bedeutet das besonders bei Kühltransporten unter Umständen hohe Ausfallkosten. „Telematik beugt all dem vor und hilft, dies zu vermeiden.“ Gleichzeitig unterstützt sie die Nachhaltigkeit des Transports und die Reduzierung des CO₂-Ausstoßes: Ist der Reifendruck im optimalen Bereich, spart das Kraftstoff und schont die Reifen; deren Verschleiß ist dann geringer, genau wie der Abrieb des Materials auf der Straße.
LANGFRISTIG IN QUALITÄT INVESTIEREN
Die Coronapandemie hat wirtschaftlich vor allem kurzfristiges Handeln gefordert. „Für Spediteure ist es aber immer sehr wichtig, im Sinne ihrer Kunden langfristig und in Qualität zu investieren“, sagt Frank Albers. „Denn dadurch minimieren sie die Ausfallzeiten und sichern eine höhere Servicequalität. Wer einen Transportauftrag vergibt, will sichergehen, dass die Ware zur richtigen Zeit beim Empfänger eintrifft. Um das zu gewährleisten, braucht es zum einen Fahrzeuge in solider Qualität mit hochwertiger Fahrzeugtechnik und zum anderen ein gutes Fuhrparkmanagement, das durch Telematik und die genannten Tools optimal unterstützt wird.“
„Der digitale Wandel wurde zu lange als nächste Optimierungsstufe verstanden, nicht als die umfassende Umwälzung von allem, die er darstellt. Dafür haben die wenigsten einen Plan oder auch nur eine Zielvision entwickelt. Andererseits: An immer mehr Stellen wird klar, dass es mehr braucht als die Digitalisierung althergebrachter Prozesse – nämlich ganz neue Prozesse, neue Ideen, neue Unternehmen.“
Christoph Bornschein, Gründer und CEO der Berliner TLGG GmbH, einer Agentur für digitale Transformation
Speditionen können sich heutzutage kaum Fehler erlauben, denn die Empfänger warten in der Regel auf eine schnelle Lieferung. Ineffizienzen kosten Geld – in einer Branche, die mit einer sehr niedrigen Marge haushalten muss. „Wenn die Unternehmer teilweise erst ab dem 25. des Monats den Umsatz einfahren, der all ihre festen Kosten wie Sprit, Personal und Investitionen deckt, dann müssen Zugmaschine und Trailer möglichst immer zuverlässig rollen“, so Albers. Somit wird beim Kauf eines Fahrzeugs nicht selten doppelt nachgerechnet, ob sich zusätzliche Tools wirklich auszahlen. Dies hat Krone bei all seinen Produkten und innovativen Entwicklungen immer im Blick; die Kosten eines Reifendruckkontrollsystems (tyre-pressure monitoring system, TPMS) rechnen sich beispielsweise in Kombination mit Telematik bereits nach nur 18 Monaten. Dem Diebstahl von Ladung beugen neben dem Door-Lock-System von Krone auch schnittfeste Planen wie die Safe Curtain vor. Die Versicherungen vergeben in der Regel beim Einsatz solcher Systeme günstigere Policen, was wiederum die laufenden Kosten des Fuhrparks reduziert.
VORREITER BESTIMMEN ÜBER DIE ZUKUNFT
Julia Miosga empfiehlt, auch angesichts schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen, in innovative, nachhaltige Lösungen zu investieren oder sie nach Möglichkeit selbst mitzuentwickeln. „Man muss nicht vorpreschen, wenn es um neue Technologien geht, aber man sollte zügig handeln“, erklärt sie. „Beim Thema Digitalisierung wie bei der Nachhaltigkeit bestimmen die Vorreiter über die zukünftige Ausrichtung. Also gilt: Entweder bist du eigeninitiativ und bestimmst mit deinen Ideen, Technologien und Services mit. Oder du bist dann nur noch reaktiv und musst das einkaufen, was andere entwickelt haben.“
„Unternehmen müssen lernen, Neuland zu gestalten, und dabei müssen sie die Menschen mitnehmen. Denn Digitalisierung ist ja weit mehr als Technik. Es geht um neue Geschäftsmodelle, Wertschöpfungssysteme und neue Formen der Organisation von Arbeit. Das alles zu Ende gedacht, geht es um eine völlig neue Unternehmenskultur.“
Dr. Kira Marrs, Wissenschaftlerin am ISF München
Digitalisierung im Unternehmen umzusetzen sei quasi Pflicht: „Wenn man sich nicht digitalisiert, dann beschwört man seine eigene Krise herauf, denn irgendjemand wird eine Technologie anbieten oder auf eine Idee kommen, die das eigene Geschäftsfeld angreift“, so Miosga. Dabei dürfen laut der Expertin die finanziellen Aspekte nicht im Vordergrund stehen: „Ich halte es zumindest für gefährlich zu erwarten, dass sich Investitionen in digitale Technologien, Produkte und Services sofort finanziell auszahlen sollen. Hier braucht man einen längeren Atem.“ Dass in der Coronakrise kaum Investitionsmittel zur Verfügung stehen, sei zwar verständlich: „Aber wer investieren kann, sollte es dringend tun und Innovationen daraufhin prüfen, welche von ihnen das eigene Unternehmen zukunftsfähig machen können.“
ATTRAKTIV FÜR BEWERBERINNEN UND BEWERBER
Ein wichtiger Aspekt sei auch, dass Digitalisierung die Fachkräfte halten kann: „Die meisten Menschen wollen in modernen Unternehmen arbeiten und deren Entwicklung mitgestalten. So machen sich Unternehmen mit digitalen Anwendungen attraktiv für Bewerberinnen und Bewerber und verhindern, dass Mitarbeiter weggehen.“ Miosga ist davon überzeugt, dass gerade der deutsche Mittelstand das alles sehr gut leisten kann. „Mit seinem klaren Bekenntnis zur Verantwortung und seinem stetig bewahrenden Handeln sichert er die eigene Zukunft und die seiner Belegschaften. Kleine und mittelständische Unternehmen halten nun mal die Gesellschaft und Deutschland als Wirtschaftsnation am Laufen. Das ist eine große Stärke.“
„Die Coronakrise hat tiefgreifende gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen mit sich gebracht. Doch so dramatisch die Krise zurzeit noch scheint, sie birgt auch eine Chance: Deutschland wurde abrupt aus seiner Trägheit gerissen.“
Frank Thelen, europäischer Seriengründer und Tech-Investor
Der Mittelstand achtet beispielsweise sehr darauf, seine Mitarbeiter in Lohn und Brot zu halten: „Gerade auch in der Coronakrise hat es bisher keine großen Entlassungswellen gegeben.“ Beim Thema Digitalisierung seien dennoch viele Unternehmen recht zurückhaltend. Laut Miosga steht das im Widerspruch zum Mut und zur Innovationsbereitschaft, für die der deutsche Mittelstand eigentlich steht: „Ein Ingenieur sollte nicht vor digitalen Technologien haltmachen!“ Sie sieht zudem noch viel Potenzial in Kooperationen zwischen Logistikern, der Immobilienwirtschaft, dem Handel und der fertigenden Industrie. „Wenn sie sich auf Plattformen oder über offene Standards zusammenschließen, steckt darin für Deutschland als Wirtschaftsstandort meiner Meinung nach ein großer Treiber für Digitalisierung, Nachhaltigkeit und sinnstiftenden wirtschaftlichen Erfolg.“
Fotos: AdobeStock/denisismagilov, privat, Tom Wagner, Eyecatchme Photography, ISF München; Zitatquellen: Edition F, Die Wirtschaftszeitung, Deutschland.de, Manager Magazin, Focus