Zukunft

Citylogistik neu erfinden

Der E-Commerce-Boom erfordert dringend neue Ideen für die Zulieferung auf der letzten Meile. Insbesondere Lastenräder haben Potenzial, diese Herausforderung in den Städten leise und sauber zu bewältigen.

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er Onlinehandel boomt unaufhörlich, die Städte wachsen rasant. „Die Mobilität aufrechtzuerhalten, wird unter diesen Bedingungen zur großen Herausforderung“, sagt Professor Jan Ninnemann, Leiter des Studiengangs Logistics Management an der Hamburg School of Business Administration (HSBA). Insbesondere für die letzte Meile der Citylogistik seien dringend neue Lösungen gefragt.

Das Lastenrad „Movr“ verfügt über eine starke elektrische Antriebseinheit und ist 25 Kilometer pro Stunde schnell. Anfahrhilfe und Rückwärtsgang ermöglichen ein komfortables Handling im Stadtverkehr.
Das Lastenrad „Movr“ verfügt über eine starke elektrische Antriebseinheit und ist 25 Kilometer pro Stunde schnell. Anfahrhilfe und Rückwärtsgang ermöglichen ein komfortables Handling im Stadtverkehr.

Dieser Gedanke treibt auch andere um. Ob in Wien, Berlin oder Paris – überall sucht man inzwischen auf Hochtouren nach Konzepten für eine emissionsarme und flexible Belieferung in den Metropolen. Laut Prognosen der Unternehmensberatung McKinsey werden im Jahr 2025 rund fünf Milliarden Pakete pro Jahr in Deutschland verschickt werden – gut doppelt so viele wie heute.

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»Die Mobilität aufrechtzuerhalten, wird unter diesen Bedingungen zur großen Herausforderung.«


Jan Ninnemann

Die Paketdienste experimentieren inzwischen mit Lastenrädern in verschiedenen deutschen Großstädten. DHL probierte sich mit VW und mehreren Onlineshops an der Zustellung in den Kofferraum von Pkws in Berlin aus. Die Deutsche Bahn testete mit Edeka codierte Schließfächer – teils sogar gekühlt für Lebensmittel – in ausgewählten Bahnhöfen, und die Deutsche Post hat Lieferroboter in Hessen eingesetzt. In der breit angelegten Initiative „Smile“ (Smart Last Mile Logistics) der Stadt Hamburg laufen viele Ideen zusammen, um progressive Möglichkeiten in der Praxis auszuloten: die Auslieferung per Roboter, Drohne oder E-Lastenrad kombiniert mit Mikrohubs, zudem die Zustellung beim Arbeitgeber oder in speziellen Paketkästen am Haus bis hin zu alternativen Antrieben.

In Berlin testete DHL gemeinsam mit VW und Onlinehändlern die Zustellung in den Kofferraum. Die Testpersonen gaben dafür ein Zeitfenster an, in dem der Paketbote das Auto per GPS an der angegebenen Adresse finden konnte.
In Berlin testete DHL gemeinsam mit VW und Onlinehändlern die Zustellung in den Kofferraum. Die Testpersonen gaben dafür ein Zeitfenster an, in dem der Paketbote das Auto per GPS an der angegebenen Adresse finden konnte.

„Nicht alle innovativen Ideen lassen sich allerdings praxistauglich in den Markt transferieren“, sagt Jan Ninnemann. So habe sich gezeigt, dass es schwierig ist, Lieferroboter und Drohnen im großen Stil einzusetzen. „Diese Lösungen eignen sich derzeit eher für Spezialaufgaben, schon allein aufgrund des geringen Ladevermögens.“ Hier gelte es erst noch, die passenden Anwendungen zu finden. Anders verhalte es sich mit der Einbindung von E-Lastenrädern in die Paketzustellung – „einem zentralen Baustein für eine zukunftsweisende Logistik in den Städten“, urteilt der Wissenschaftler, der gerade ein Leuchtturmprojekt von UPS ausgewertet hat. Über zwei Jahre testete der Paketdienst in einem Modellversuch in Hamburg die Auslieferung per E-Cargobike und Sackkarre von vier Mikrodepots aus. In zentralen Lagen wurden die Pakete in Containern zwischengelagert und von dort aus verteilt. Laut Gutachten entlasten die vier Cargobikes den Verkehr um bis zu 24.000 Fahrzeugkilometer und senken den CO2-Ausstoß um bis zu 18,6 Tonnen im Jahr. „Würden alle Paketdienste in Hamburg mitziehen, ließen sich mit 40 Mikrodepots im Stadtgebiet diese positiven Effekte verzehnfachen“, so Ninnemann.

PREISGEKRÖNTES MOBILITÄTSKONZEPT

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Das innovative Lastenrad „Movr“ des Start-ups Rytle, eines Joint Ventures der Krone-Gruppe und der Orbitak AG, heimste bereits mehrfach Preise ein. So ehrten die Fachmagazine Verkehrsrundschau und Trucker die durchdachte Zustelllogistik im April mit dem begehrten Umweltpreis „Green Truck Future Innovation 2018“. Die Auszeichnung prämiert technische Lösungen, die einen umweltfreundlicheren Betrieb von Lkws und Nutzfahrzeugen unterstützen. Kriterien sind zum Beispiel Verbesserungen, die die Schadstoff- und Lärmemissionen verringern oder Logistikkonzepte optimieren. „Das Lastenrad Movr fährt die letzte Meile umweltfreundlich und leise und befördert Transportboxen nahezu emissionsfrei von Cityhubs zum Ziel. Erfolgreiche Pilotprojekte zeigen, dass das Rytle-Konzept wirtschaftlich und ökologisch erfolgreich ist“, begründete die Fachjury unter anderem ihre Entscheidung.

Bereits im Dezember 2017 gewann Rytle für sein Cargo-bike-Konzept den „Europäischen Transportpreis für Nachhaltigkeit 2018“, den die Zeitung Transport und der Huss-Verlag damit zum vierten Mal vergaben. Das Jungunternehmen aus Bremen ließ dabei in der Kategorie Mobilitätskonzepte namhafte Branchenvertreter hinter sich. Den Preis erhielten insgesamt 16 Firmen aus der Transportbranche in jeweils verschiedenen Kategorien, die in vorbildlicher Weise wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Verantwortung und der Schonung der Umwelt verbinden – und mit ihrem nachhaltigen Handeln zu einem weiteren Wachstum und Wohlstand der Gesellschaft beitragen.


Das Potenzial hat man längst auch über Deutschlands Grenzen hinaus erkannt. Entsprechend laufen Tests nicht nur hierzulande, sondern zum Beispiel auch in Paris, Portland und Dubai. Das Bremer Start-up Rytle, das aus einer Kooperation zwischen dem Beratungsunternehmen Orbitak und Krone entstand, hat im März seine Vision von einer leisen, sauberen und smarten Citylogistik nach Betrieb in Deutschland bereits in Singapur vorgestellt – genauer: das mehrspurige Lastenrad „Movr“ mit zwei E-Motoren und Wechselaufbau. „Hierbei handelt es nicht nur um ein einfaches Lastenrad, sondern um ein völlig neues Transportmittel“, erklärt Ingo Lübs, neben Dr. Arne Kruse einer der beiden Rytle-Geschäftsführer. Der „Movr“ kann vorkommissionierte standardisierte Kleincontainer aufnehmen, die in mobilen Mikrodepots der Stadt zwischengelagert werden. Über eine App und die Cloud ist das gesamte Konzept intelligent vernetzt; Lastenrad, Boxen und der Mikrohub können so miteinander kommunizieren. „Dies ermöglicht es Kunden und Zustellern, den Transportprozess transparent zu verfolgen“, so Lübs. Etwa 180 Kilogramm Nutzlast kann das Gefährt laden, ein Parkplatz ist nicht nötig. Im Betrieb erlauben die zwei starken E-Motoren eine Beschleunigung auf 25 Stundenkilometer; damit ist der „Movr“ kaum langsamer als ein Transporter in der Stadt. Eine Plexiglashaube schützt den Fahrer dabei vor Wind und Wetter. „Nicht nur der Testlauf mit UPS in Hamburg verlief äußerst erfolgreich, weltweit haben inzwischen viele Unternehmen in unser Konzept investiert“, berichtet Kruse. Der Einsatz der Profilastenräder sei nicht nur wirtschaftlich tragfähig, sondern auch gut operativ umzusetzen, so seine Überzeugung.
Mehr unter 
www.rytle.com

Direkt auf dem Boden abgestellt, nehmen die klein gehaltenen mobilen Depots aus dem Krone Wechselbrückenprogramm auch optisch nur wenig Raum ein.
Direkt auf dem Boden abgestellt, nehmen die klein gehaltenen mobilen Depots aus dem Krone Wechselbrückenprogramm auch optisch nur wenig Raum ein.

Fotos: DVZ/Tien Nyguen, DHL, privat, VerkehrsRundschau / TRUCKER, Rytle

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